GERICHTEGEDICHTE

(Auszug)

Helga Mathieu


INHALTSVERZEICHNIS
Käse von den Ziegen
Gänseleberpastete, venezianische Art
Gambas Guillaume
Der Stockfisch des Wiedersehens
Das päpstliche Huhn
Schweinesteaks mit zweierlei Kohl
Römische Reblaus
Frikadellen
Grundrezept Hefeteig
Quetschekuche zur Schnibbelchesbohnesupp
Dicke Bohnen
Buchweizenbrei
Auflauf mit Gemüse und Ricotta
Sommerliche Gemüsekaltschale
Zitronencreme
Wochenendbrot
Gemüseauflauf
Tomatenketchup
Mirabellenkonfitüre, karamelisiert
Quitten

HYPERION AN BELLARMIN

Tausendmal hab' ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabener Geist könnte unmöglich wissen, wie man ein Gemüse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzlich von dem Feuerherde sprechen, und es ist gewiß nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohltätige Flamme besorgt, und ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.

HÖLDERLIN, Hyperion, I. Teil, 2. Buch
Gerichtegedichte. Herzhaftes, mitunter scherzhaftes und hoffentlich nie schmerzhaftes Nahrhaftes. Heimlich, oft unheimlich, nur selten peinlich Gereimtes für Leute mit Geschmack.

EIN WORT ZUVOR
Nun ist es an der Zeit, meine schon in zartester Kindheit erwachte Liebe zu Versen jeglicher Art dem platonischen Zustand zu entreißen und sie zu neuem, konkreterem Leben zu erwecken. Also begann ich, meine Dichtungen aus alter und neuerer Zeit hervorzugraben und darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn ich meine geistigen Kindlein in die lesende Welt schickte.

Genau zu diesem Zeitpunkt hörte ich durch einem netten Kollegen von französischen Kochrezepten in Reimen. Das war für mich äußerst anregend. Ich beschloß also, ein Kochbuch zu schreiben. In Versen. Jawohl.

Von meinem Vater habe ich die Lust zum Reimen geerbt. Meine Freude an allerlei Versfüßen, mein Interesse an der Reim- und Verslehre wurde durch die Idee, Kochrezepte zu dichten, so groß, daß ich nicht nur zu Gedichtbänden griff, sondern auch zu allerhand Lexika, um mir erste Informationen über Metrik zu verschaffen. Ausschlaggebend für weitere Taten war das Geburtstagsgeschenk eines sehr lieben Kollegen, für das ich ihm auch hier noch einmal ganz herzlich danken möchte: ein kluges und sehr gelehrtes Werk über Metrik und Versgeschichte. Da hatte ich in der Theorie nun ganz deutlich vor Augen, was ich bisher einem mehr oder minder dumpfen Instinkt überließ. Sehr angeregt hat mich auch Arno Holz mit seinem Schäfer Dafnis und dessen unübertrefflichen Freß- Sauff- und Venusliedern, die mir erst einmal richtig zeigten, was zum Beispiel ein Quodlibet ist.

Eine große Leidenschaft erwachte in mir für den walzertaktigen Daktylus, und ich bin gar nicht so sicher, daß manche Gelehrten mit ihrer These Recht haben, dieser aus einer langen (betonten) und zwei kurzen (unbetonten) Silben bestehende Versfuß eigne sich überhaupt nicht oder nur unter Einsatz größerer Anstrengungen für die deutsche Sprache. Ich will aber nicht ungerecht sein: auch die zweitaktigen Jamben und Trochäen mit je einer Hebung und Senkung finde ich faszinierend. Doch meine heiße Liebe gilt schon seit der Sextanerzeit den Daktylen in Versen mit der unterschiedlichsten Anzahl von Füßen. Ganz besonders bin ich dem Hexameter verfallen, und keine noch so scharfe Kritik konnte mich daran hindern, zum Beispiel mein Brotrezept in diese heroische Versform zu bringen. Ich habe also gar nicht erst versucht, das Versmaß vom Inhalt meiner Reime abhängig zu machen, wie das die klassische Dichtkunst ja eigentlich vorschreibt. Dafür bitte ich meine verständnisvollen geneigten Leserinnen und Leser um Nachsicht.

An dieser Stelle möchte ich allen sehr herzlich danken, die mein Vorhaben mit liebevollem Interesse begleiteten, mir mit Rat und Tat zur Seite standen, mich ermunterten und mir Anregungen aller Art gaben: Meinen Töchtern Michaela, Dorothea und Ulrike samt Wilhelm, dem begnadet kochenden Schwiegersohn, den Kolleginnen und Kollegen, den Brüdern und Schwestern von den Stammtischen, eingeschlossen die diesbezüglichen Wirtsleute, allen Nachbarn, Freunden und Bekannten. Viele von ihnen haben mit eigenen Kochrezepten, andere mit mir bisher noch unbekannten Kochbüchern zur Bereicherung der Sammlung beigetragen.

Helga Mathieu